Was machen vier Frauen Anfang Dezember auf einem Boot in Südengland?
Warum machst du das? Bist du verrückt? Machst du das freiwillig?
Diese Fragen wurden mir häufiger gestellt in den Wochen vor meiner Abreise nach Südengland. Und ja, auch ich stellte mein Vorhaben, eine Woche über den meteorologischen Winteranfang in einem der spannendsten, aber zu dieser Jahreszeit auch sehr kalten Segelreviere, ein Segeltraining zu absolvieren, in Frage. Aber beginnen wir am Anfang. Geplant hatte ich das Gezeitentraining ursprünglich für September. Viel hatte ich schon vom Segeln im Solent gehört. Kim hatte im September 2022 bereits ein Gezeitentraining im Zuge seiner Yachtmaster-Ausbildung mit MCO-Sailing gemacht und so hatte ich beschlossen, der Empfehlung zu folgen. Man hatte mir damals bereits den Women-only-Törn im Winter angeboten, doch lehnte ich dankend ab. "Ich bin doch nicht verrückt!", dachte ich! Segeln macht bei gutem Wetter schließlich am meisten Spaß - reine Frauen-Crew hin oder her. Leider wurde der September-Törn gecancelt, was mir zugegebenermaßen ganz gut in meine übrige Jahresurlaubsplanung passte. Und so kam es, dass ich doch am 26. November auf die Insel flog. Ziel: Hamble-le-Rice am Solent.
Über Amsterdam und Southampton führte mich die Reise. Der Flieger in Düsseldorf hob bereits mit Verspätung ab, da die Tragflächen noch enteist werden mussten. Mir schwante nichts Gutes. Dennoch pünktlich in Southampton angekommen, eröffnete man mir dann, dass mein Gepäck mitsamt Segelsachen und Schlafsack in Amsterdam geblieben sei... we are so sorry! Naja, ein holpriger Start muss ja nicht der Anfang von etwas noch Holprigerem sein... also war ich positiv gestimmt, dass ich den Törn nicht ohne meine Ölzeug antreten musste. Und so war es dann zum Glück auch. Nachdem ich den Tag über in der Hamble Marina im warmen Café saß und die überaus herzliche englische Gastfreundschaft genießen konnte, wurde mein Gepäck abends direkt in die Marina geliefert, und wir konnten am nächsten Tag wie geplant ablegen.
Wir, das waren neben mir noch zwei weitere Seglerinnen aus Nürnberg und Wien sowie unsere Skipperin und Yachtmaster-Trainerin Maren aus Flensburg. Da wir drei Trainees keine Yachtmasterausbildung anstrebten, sondern einfach sicherer im Boathandling werden und etwas über das Segeln im Gezeiten-Revier lernen wollten, passte unsere kleine Crew sehr gut zusammen. Unser erstes, und wie sich später herausstellte, einziges Ziel für die ganze Woche war das Hafenstädtchen Cowes an der Nordküste der Isle of Wight. Der Solent empfing uns um die Mittagszeit mit Sonnenstrahlen, die sich den Weg durch die Wolken bahnten, und der Dauerregen des vorherigen Tages war vergessen. Aufregend waren die ersten Stunden auf diesem Seitenarm des Ärmelkanals. Fähren, jede Menge große und kleine Schiffe sowie Segler befahren auch zu dieser Jahreszeit die Meerenge. Der Solent weist als Tidenrevier extreme Strömungsverhältnisse auf, und wir machten uns unter Marens Anleitung erstmal mit dem Boot vertraut.
Die Ocean Live 1 ist eine moderne Bavaria mit 37 ft Länge und die Steuerung mit Steuerrad brachte meinen Kopf doch tatsächlich durcheinander. Ich konnte es kaum fassen, bevorzuge ich doch eigentlich das Steuerrad, aber jahrelanges Segeln mit Pinne und dem damit verbundenem Umdenken - ich will nach Steuerbord, also schiebe ich die Pinne nach Backbord - waren wohl doch mehr in mich übergegangen als gedacht. Also hieß es nun wieder umdenken. Ich will nach Steuerbord, also drehe ich das Rad nach Steuerbord - easy, ist ja wie Autofahren.
In der Hafenstadt Cowes auf der Isle of Wight
In Cowes angkommen funkten wir den Harbourmaster an und bekamen einen Liegeplatz zugewiesen. Es folgte ein langes und anstrengendes Anlegemanöver: der Wind hatte ordentlich zugenommen, und wir sollten an der windabgewandten Seite anlegen, was dazu führte, dass wir in den starken Böen immer wieder weit vom Steg weggedrückt wurden. Vermutlich hatte der Hafenmeister bereits an das Ablegemanöver des nächsten Tages gedacht, das auf dieser Seite einfacher sein würde. Dafür mussten wir uns das Anlegen aber auch regelrecht erkämpfen. Glücklicherweise hatte unsere Skipperin noch ein paar Tricks auf Lager und irgendwann lagen wir fest und sicher an unserem zugewiesenen Platz. Bei wirklich gutem Essen und ein paar Ales im Hafenstädchen ließen wir den Tag Revue passieren und den Abend ausklingen. Überhaupt, das Essen war die ganze Woche über hervorragend. Als ich vor 20 Jahren für zwei Semester in Manchester studierte, wurde das englische Essen durchaus seinem fragwürdigen Ruf gerecht. Davon konnte in dieser Woche nicht die Rede sein. Ich habe sämtliche Pie-Variationen durchprobiert und war freudig überrascht, wie vielfältig und fein abgestimmt die Gerichte waren.
Der nächste Morgen begrüßte uns mit Sonne und wenig Wind. So beschlossen wir, den River Medina, der Cowes und East Cowes trennt, hinunterzufahren und ein paar Manöver zu üben. Wir fuhren soweit in die Isle of Wight hinein, wie es uns unser Tiefgang und die Tide erlaubten. Nachdem wir Cowes und die Hafenanlage hinter uns gelassen hatten, wurde es immer malerischer. Rechts und links lagen die Boote an Stegen und Mooring-Bojen, und die Landschaft wurde zunehmend ländlicher.
Course to steer: the estimated course that a boat should steer to arrive at a waypoint, bearing in mind the effects that wind and tide will have on the vessel.
Abends nutzten wir die Zeit vor dem Abendessen für etwas Theorie sowie Gezeiten- und Kursberechnung. Als Waddenzee-Seglerin bin ich natürlich schon mit dem Thema Gezeiten in Berührung gekommen, aber ich merke, dass das hier nochmal eine Nummer anders ist.
Auch die Arbeit mit dem Portland Plotter ist neu für mich, ich merke aber schnell, dass dieser viel einfacher zu handhaben ist als die Parallelverschiebung mit den beiden Geo-Dreiecken, die ich aus Deutschland kenne. Dennoch denke ich, das beide Systeme ihre Vor- und Nachteile haben und man am besten beides an Bord hat.
Am nächsten Tag trainierten wir Hafenmanöver bis die Finger abfroren. Aufstoppen sowie An- und Ablegen klappte gut bis zu dem Moment, als die Strömung kippte, und ich plötzlich und unbewusst das "ferry gliding" kennenlernte. Durch die einsetzende Strömung gelang mein geplantes Anlegemanöver nicht mehr so wirklich, aber zum Glück stand Maren neben mir und flüsterte mir ins Ohr, was ich in dem Moment tun musste. Wir versuchten es also noch einmal, und schon klappte es etwas besser. Dennoch ist es beeindruckend, welche Auswirkungen ein bisschen Strömung auf das Boot hat und wie es einen vertreibt. Den Harbourmaster funkten wir in diesen Tagen immer abwechselnd mal an. Maren hatte im Hafenbüro vorgewarnt, dass wir üben und gefragt, ob das okay sei. Auch die Hafenmeister*innen waren sehr freundlich... und zeigten sich beeindruckt, dass wir zu dieser Jahreszeit zum Trainieren kommen.
Aufgrund schlechten Wetters - es war recht windig und vor allem sehr, sehr nass - beschlossen wir, am nächsten Tag einen Hafen- und Theorietag einzulegen. "Secondary port calculations", "height of tide calculations" und "pilotage plans" wurden erstellt und das Innenleben einer Weste sowie weitere Safety-Features unter die Lupe genommen. Den Nachmittag ließen wir wieder im Ale House mit weiteren spielerischen Übungen zur Betonnung und Lichterführung ausklingen. Der vorletzte Tag begrüßte uns wieder sonnig, aber knackig kalt mit Temperaturen um den Gefrierpunkt. Nach dem WOBBLE-Check Water filter Oil Belt Bilge Liquids/ Levels Electricity/ Exhaust ging es raus segeln, Wende und Halse üben. Der Wind wehte mit 15-20 Knoten perfekt zum Trainieren und wir hatten richtig viel Spaß. Allerdings merkten wir auch hier nach einigen Stunden, dass wir stark auskühlten. Der Platz an der Winsch wurde immer beliebter - kurbeln hält warm!
Ursprünglich hatten wir geplant, den letzten Segeltag im wunderschönen Beaulieu River zu verbringen, bevor wir nach Hamble zurückkehren mussten. Doch das Wetter machte uns einen dicken Strich durch die Rechnung.
Umgeben von dichten Nebelschwaden wachten wir auf. Laut Wetterbericht sollten sich diese gegen 10 Uhr lichten. Doch als bis 12 Uhr nicht viel passierte, außer dass der Nebel umherwaberte, mussten wir den Beaulieu River streichen und uns fast blind auf den Weg zurück in den River Hamble machen.
Die Fahrt war die spannendste der ganzen Reise und teilweise fast gespenstisch. Wenn man nichts mehr sieht, ist man gezwungen, sich umso mehr auf den Gehörsinn und natürlich die technischen Geräte an Bord zu verlassen.
Meistens hörten wir die uns umgebenden Schiffe durch die abgegebenen Schallsignale lange bevor etwas in Sicht kam. Unheimlich ist es allemal, wenn die Ohren sagen, dass etwas Großes nahe ist, man es aber im dichten Nebel nicht sehen kann.
Dank der hohen Tide konnten wir abseits des Fahrwassers fahren, sodass wir den großen Fähren und Frachtern nicht zu nahe kamen. Der Plotter zeigte über AIS an, welche Schiffe um uns herum waren - zumindest die Berufsschifffahrt. Das ewige Starren in den Nebel erzeugte bei mir Halluzinationen: ich sah immer wieder Dinge, wo keine waren... und plötzlich tauchten dann doch das ein oder andere kleine Boot oder Tonnen unvermittelt aus den weiß-grauen Schwaden auf. Der unheimlichste Moment war der, als wir den Motor eines recht großen Schiffes hörten, aber es noch nicht sehen konnten, bis es plötzlich schräg achtern aus dem Nebel auftauchte. Beruhigend war es zu wissen, dass wir uns außerhalb des Fahrwassers bewegten und dass einige der großen Pötte Lotsen haben, die vorausfahren. Sollte man im Weg rumdümpeln, wird man energisch von dort verscheucht. Wir haben es jedenfalls dank Marens guter Navigationskünste sicher nach Hamble geschafft und waren froh, als wir - etwas steif gefroren - im Hafen fest machten.
Segeln im Solent im Winter?
Auf die Frage: "Gehst du wieder segeln im Solent im Winter?" habe ich ein klares "Nein!" als Antwort. Ich bin froh um die Erlebnisse dieser Woche, besonders mit meinen Mitseglerinnen und unserer Skipperin lief es einfach super gut! Aber ich habe mir geschworen, zukünftig in wärmeren Gefilden zu segeln. Die Gewässer des Solent möchte ich unbedingt zu einer anderen Jahreszeit noch einmal ausführlich kennenlernen. Die Landschaft und auch besonders die Herzlichkeit und der Humor der Engländer haben mich wieder einmal überzeugt, dass die Insel eine Reise wert ist.
Noch eine Empfehlung zum Schluss: Wenn ihr einmal auf der Suche nach einer guten Skipperin seid: ich kann Maren wirklich empfehlen. Ich habe mich stets gut aufgehoben gefühlt und ihre ruhige und besonnene Art sehr geschätzt. Fragen wurden ausführlich und verständlich beantwortet und auch die Theorie hat Spaß gemacht. Danke, Maren!
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