Wir proben den Seenotfall im Fire-&-Safety-Training
Kim und ich stehen im Maritimen Trainingszentrum Wesermarsch in Elsfleth und fragen uns, ob das eine gute Idee war. Einige Monate zuvor hatten wir uns für das World Sailing Offshore-Training angemeldet. Nun kommen Zweifel auf… Die Luft im Schwimmbad ist feucht-warm, alles scheint zunächst harmlos. Doch dann werden Wind, Regen, Wellen und Blitzlicht simuliert, und uns es vergeht Hören und Sehen. Worauf haben wir uns hier nur eingelassen?
Kurz darauf finde ich die Antwort. Kuschelig dicht beieinander sitze ich mit neun anderen Menschen in einer Rettungsinsel, in die eigentlich noch zwei Personen mehr reinpassen sollen. Wir halten uns fest an den Händen – und diese Hände gehören nicht meinem Partner, denke ich noch. Doch es beruhigt, zu spüren, dass ich nicht allein bin. Draußen tobt das „Meer“ – naja, das Schwimmbecken – aber es fühlt sich verdammt realistisch an. Wind und Regen peitschen gegen das Dach unserer Rettungsinsel, Blitze tauchen das Innere in ein unheimliches Licht, es ist unfassbar laut. Mein Sitznachbar hat ein blinkendes Licht an seiner Rettungsweste, das mir alle paar Sekunden einen Blick auf die übrige Crew in der Insel erlaubt. Wir sehen aus wie ein Häufchen Schiffsbrüchige. Ich schließe die Augen… Wie bin ich hierhergekommen? Und wo ist Kim?
Erste Übungen im Wasser: Raupe und Kreis
Wenige Stunden zuvor standen wir mit unserer Gruppe in voller Segelmontur am Beckenrand. Mit einem Sprung ins Wasser lösten wir unsere Westen aus und konnten zum ersten Mal erleben, wie es sich anfühlt, wenn die Schwimmkörper mit lautem Knall aufgeblasen werden. Meine Weste sitzt gut, ich treibe wie ein Korken an der Wasseroberfläche, mein Kopf wird zuverlässig über Wasser gehalten. Nur der Halsbereich fühlt sich etwas eng an. Der Trainer, der in meiner Nähe schwimmt, gibt mir den Tipp, etwas Luft abzulassen, um den Sitz angenehmer zu machen. Gesagt, getan. Nun paddel ich gut gelaunt zwischen den anderen der Gruppe und freue mich über meine Rettungsweste, die ich erst ein Jahr zuvor gekauft hatte.
Als Erstes üben wir die Fortbewegung in der sogenannten „Raupe“. Kim, der zuvor als Skipper und damit als Verantwortlicher für die Gruppe auserkoren wurde, ist mit mir im Wasser und gibt den Ton an. Wir liegen jeweils auf dem Rücken, schlingen die Beine um die Person vor uns, sodass unsere Arme frei sind und wir wie beim Rückenschwimmen rudern können. Bei „Eins“ heben wir die Arme, bei „Zwei“ ziehen wir sie durch das Wasser. Wenn das synchron geschieht, kann sich die Gruppe tatsächlich fortbewegen. Doch nach kurzer Zeit kommen wir aus dem Takt, rollen zur Seite oder verlieren den Kontakt zur Person vor oder hinter uns. Also nochmal… Gerade, als ich denke, dass es ganz schön anstrengend ist, wird eine Welle im bisher ruhigen Wasser erzeugt. Das Trainingsbecken verfügt über vier verschiedene Wellensimulationen. Welche Art von Welle uns jetzt zusetzt, weiß ich nicht, aber sie stört enorm. Jetzt ist es noch schwieriger, die Raupe zusammenzuhalten. Die Beine meiner Hinterfrau pressen sich inzwischen wie ein Schraubstock um meinen Körper... sie möchte mich keinesfalls verlieren, als ginge es hier tatsächlich bereits um alles. Ich fürchte allerdings, dass ich so möglicherweise einfach nur schneller ertrinke.
Im nächsten Schritt lernen wir, wie wir einen Kreis bilden, um uns auf dem Wasser ausruhen zu können, ohne jemanden zu verlieren. Wir haken uns rechts und links ein, legen den Kopf auf den Kragen der Rettungsweste und „schunkeln“ im Takt der Wellen auf dem Wasser. Als Rheinländerin habe ich eine Art Karnevals-Dejà-vu... So lässt es sich tatsächlich gut aushalten – bis diesmal zur Welle auch noch Regen und Wind eingeschaltet werden. Das dämpft die Stimmung schlagartig. Ich schlucke Wasser, mal von den Wellen, mal Regenwasser, und fange an zu husten. Mein Nebenmann erkundigt sich, ob alles in Ordnung ist. Ich bejahe und bin froh, dass wir aufeinander aufpassen. Auch hilft der Tipp der Trainerin: „Im Wellental einatmen, oben auf dem Wellenkamm ausatmen.“ Oben auf der Welle peitscht nämlich der Wind die Gischt ins Gesicht und erschwert das Atmen. Zeit, meine Spraycap zu testen, die ich über mein Gesicht ziehe. Für Klaustrophobiker ist das nichts, aber es hält den Regen ab. Ich nehme die anderen nur noch gedämpft wahr und lasse mich treiben. So geht es ganz gut.
Ich erinnere mich, dass ich schon als Kind gerne im Wasser war, sodass dieses Element für mich sehr positiv besetzt ist. Dennoch erfahre ich hier im Schwimmbecken ansatzweise, wie sehr einem diese Naturgewalt zu schaffen machen kann. Nach wenigen Minuten werden Regen und Wind abgeschaltet, und mir dämmert, dass dies im Ernstfall auf See nicht so sein wird. Dort würden Wellen, Gischt, Regen und Wind uns stunden- oder gar tagelang zusetzen – ein beängstigender Gedanke. Aber im Moment treibe ich sicher im Becken in Elsfleth, und außerdem sind drei Trainer*innen mit uns im Wasser, die jederzeit eingreifen würden, falls jemand nicht mehr kann oder möchte.
Ab in die rettende Insel
Eine der schwierigsten Aufgaben steht noch bevor: Jede*r von uns muss die große 12-Personen-Rettungsinsel umdrehen und hineinklettern – aus eigener Kraft, ohne Hilfe. Bis ich an der Reihe bin, merke ich, dass sich das 21 Grad warme Wasser inzwischen doch recht kühl anfühlt. Es fließt durch alle Schichten meiner Kleidung und kühlt meinen Körper langsam, aber stetig aus. Rückwärts schwimme ich auf die Rettungsinsel zu – die Bewegung wärmt mich wieder etwas auf – und erhalte dort Anweisungen des Trainers, wie ich sie am besten umdrehe. Das ist tatsächlich nicht einfach, das Ding ist riesig!
Nach einigen Versuchen schaffe ich es, das „Monster“ zu drehen – nur um sogleich davon erschlagen zu werden. Der Trainer hatte mich vorgewarnt, dass dies passieren würde, und versucht noch, mich etwas zurückzuschubsen. Doch ich sehe nur noch, wie der riesige schwarze Boden der Insel auf mich zurast. Mit den Händen über dem Kopf ducke ich mich unter Wasser und tauche rückwärts unter der Insel hervor. Wieder erkundigt man sich, ob alles in Ordnung sei. „Ja, danke“, antworte ich mit einem Daumen nach oben.
Der Einstieg in die Insel erweist sich trotz Einstiegshilfe als wirklich schwer. Mein gesamtes Ölzeug hängt wie ein mit Wasser gefüllter Sack an mir und macht mich einige Kilo schwerer. Zudem behindern die aufgeblasenen Schwimmkörper meiner Rettungsweste den Einstieg. Ich denke schon, dass ich es nicht schaffen werde, als ich mich plötzlich wenig elegant auf dem Bauch liegend in der Insel wiederfinde. Hat der Trainer nachgeholfen? Ich hoffe, dass mein Körper im Ernstfall die nötige Kraft aufbringen würde.
Später am Tag wird mir klar, dass wir auf unserem Boot natürlich keine Rettungsinsel für zwölf, sondern nur für vier Personen haben. Ich hoffe, dass das Handling etwas einfacher sein wird – erleben möchte ich es dennoch nicht.
Bergung mit dem Helikopter
Nachdem alle einmal alleine in die Rettungsinsel geklettert sind, proben wir das Ganze gemeinsam. Skipper Kim klettert als Erster in die Insel und hilft uns der Reihe nach hinein, während Co-Skipper Christoph von hinten schiebt. Mit vereinten Kräften geht es auf einmal erstaunlich schnell. Und so finde ich mich händchenhaltend in der oben beschriebenen Ausgangssituation wieder.
Nacheinander werden wir nun mit einer Rettungsschlaufe und einem „Helikopter“ geborgen. Dafür haben wir vorher bereits die Luft aus den Rettungswesten abgelassen, wodurch wir uns viel besser bewegen können. In der Rettungsschlaufe aus der Insel nach oben gezogen zu werden ist ein unglaublich erleichterndes Gefühl. Wie mag das wohl erst in einem echten Notfall sein?
Die Jakobsleiter – Feind oder Freund?
Geschafft, denke ich, ab unter die heiße Dusche! Bin ja schließlich gerettet! Doch als ich erschöpft, glücklich und ein wenig stolz auf mein Durchhaltevermögen am Beckenrand stehe, ruft uns die Trainerin zu: „Und jetzt blast ihr eure Rettungswesten wieder auf.“ Bitte was?? Ja, ich habe mich nicht verhört. Wir pusten die Schwimmkörper unserer Westen wieder selbst auf – was erstaunlich einfach und schnell geht – und springen dann alle erneut ins Wasser.
„Och nö…“, denke ich, als wir einzeln zum gegenüberliegenden Beckenrand schwimmen sollen. Dort hängt eine sogenannte Jakobsleiter. In der Seefahrt bezeichnet man damit eine Strickleiter, die an der Bordwand heruntergelassen wird. Der Name stammt von der biblischen Jakobsleiter, die einen Auf- und Abstieg zwischen Erde und Himmel ermöglichen soll. Im Seenotfall ist es wohl eher ein Aufstieg von der Hölle zurück ins Leben.
Während die Wellen die Leiter seitlich immer wieder wegschieben, versuche ich, einen Fuß auf die schmalen Sprossen zu setzen. Hier wird mein letztes Fünkchen Kraft gefordert. Irgendwann habe ich mich so weit hochgearbeitet, dass ich oben von helfenden Händen buchstäblich am Kragen gepackt und auf den Beckenrand gezogen werde. Ich bin fix und fertig und fühle mich wie gestrandetes Treibgut.
Was ich an diesem Wochenende gelernt habe
Jede Menge: Obwohl ich zu Seekrankheit neige, habe ich es lange in der schaukelnden Rettungsinsel ausgehalten, ohne dass mir übel wurde. Adrenalin sei Dank! Ich habe mehr Kraft und Ruhe, als ich dachte – aber nicht so viel, wie ich mir wünsche. Wellen von 50 Zentimetern bis einem Meter sind eine große Herausforderung, wenn man im Wasser treibt – höhere Wellen möchte ich mir gar nicht vorstellen. Mit der Helikopter-Rettungsschlaufe durch die Luft zu fliegen, ist ein sehr beruhigendes Erlebnis. Eine Jakobsleiter möchte ich nie an einer hohen Schiffswand hochklettern müssen. Ich möchte generell nie wieder eine Rettungsinsel von innen sehen müssen. Und das vielleicht Wichtigste überhaupt: Über Bord zu gehen ist keine Option!
Warum überhaupt ein Sicherheitstraining auf See?
Das Sicherheitstraining für Seesegler demonstriert den Teilnehmenden eindrucksvoll, womit wir im Ernstfall rechnen müssen. Wie die meisten Segler, die sich aufs offene Meer wagen, haben auch wir die übliche Sicherheitsausrüstung für den Küsten- und Offshore-Bereich an Bord: Rettungswesten, Lifelines, Rettungsinsel, EPIRB (Notfunkbake, die bei Aktivierung ein Notsignal mit der aktuellen Position an Satelliten und Rettungsdienste sendet), Signalmittel, UKW und AIS sind selbstverständlich. Mit Personal Life Beacons und verschiedenen Systemen, wie man eine über Bord gegangene Person wieder an Bord bekommt, beschäftigen wir uns auch immer wieder.
Doch wissen wir wirklich, wie wir uns im Notfall verhalten? Können wir die ganzen Rettungs- und Hilfsmittel sinnvoll einsetzen? Sind die Abläufe klar? Wie fühlt es sich an, wenn meine Rettungsweste auslöst? Wie bewege ich mich im Wasser mit zwei aufgeblasenen Schwimmkörpern vor der Brust? Ist diese Weste überhaupt die richtige für mich? Wie drehe ich eine Rettungsinsel um, die sich kopfüber entfaltet hat? Wie steige ich in die Insel ein? Und nicht zuletzt: Wie lege ich die Rettungsschlaufe korrekt an, um im Ernstfall durch einen Hubschrauber geborgen werden zu können?
Allein das Austesten der eigenen Rettungsweste hat uns viel gebracht. Meine Weste mit 220 N hat sich als völlig ausreichend erwiesen. Kim wird seine inzwischen zehn Jahre alte 275-N-Weste ebenfalls gegen eine mit 220 N eintauschen, da die 275 N doch zu viel des Guten waren. Die Profis raten ohnehin dazu, es mit dem Auftrieb nicht zu übertreiben. Dafür sollte lieber in Licht investiert werden. Licht an der Weste und Licht an der Rettungsinsel können den entscheidenden Hinweis liefern, um gefunden zu werden.
Überhaupt hat das zweitägige Seminar viele gute Tipps vermittelt. Neben den Übungen im Wasser und dem Einsatz von Rettungsmitteln behandelten wir auch Themen wie Yachtführung, Crewvorbereitung bei schwerem Wetter, Sturmbesegelung, Leck- und Brandabwehr (ein Fest für Hobby-Pyromanen), Erste Hilfe und das Bergen einer über Bord gegangenen Person. Besonders bei sehr kleiner Crew – wie unserer zu zweit – ist ein Über-Bord-Gehen einfach keine Option. Das darf schlichtweg nicht passieren! Zu schwierig bis unmöglich ist es für die allein auf dem Schiff verbliebene Person, einen Menschen bei schwerer See wieder an Bord zu holen.
Das Training in Elsfleth hat uns einerseits gezeigt, wie anstrengend und beängstigend solche Notfallsituationen sind, und andererseits, dass es sich lohnt, darauf vorbereitet zu sein. Wir hoffen, dass nie in die Lage zu kommen, das Erlernte anwenden zu müssen. Doch wenn es passiert, wissen wir jetzt, dass wir besser vorbereitet sind, als wir es vor diesem Wochenende waren.
Wer selbst Interesse an diesem Training hat, findet auf der Webseite von Fire & Safety Informationen zu den Terminen. Die Seminarleitenden haben das wirklich fantastisch gemacht und ein ernstes Thema mit viel Wissen, Kompetenz und einer ordentlichen Brise Humor anschaulich vermittelt.
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