Wir sind unterwegs
- Sailing Mana
- 5. Juni
- 8 Min. Lesezeit
Der erste Monat unserer Atlantikrunde
Der erste Monat ist rum und wir sind tatsächlich unterwegs! Gestern haben wir uns Fotos der letzten Wochen angesehen – angefangen mit dem Auszug und Abschied in Köln bis zu den ersten Tagen auf See. Das kommt uns schon alles sehr weit weg vor, dabei leben wir mal gerade fünf Wochen an Bord.
Die Idee, die im Juli 2020 ihren Anfang nahm, wird Realität. Nach fast fünf Jahren des Vorbereitens und Wartens, Bootskauf, Refit, bei dem wir unsere Mana langfahrttauglich machten und Anpassen der beruflichen Pläne an die neue Situation, war es nun endlich so weit: Am 3. Mai 2025 warfen wir in Lemmer am IJsselmeer die Leinen los.
Vorher verbrachten wir noch ein paar Tage mit Family & Friends zum Abschied im Hafen. Und was für ein Fest das war! Das Wetter war sonnig und mild, und wir waren überwältigt davon, wie viele liebe Menschen in den Hafen kamen, um uns „Auf Wiedersehen“ zu sagen. Wir haben gemeinsam gegessen, gelacht und erzählt. Viele Fragen wurden gestellt – zu unserer Reise, dem Boot und dem Segeln an sich. Wie immer war viel zu wenig Zeit, um mit allen ausführlich zu plaudern, aber wir sind ja (noch) nicht am anderen Ende der Welt – und dank moderner Kommunikationsmittel fast jederzeit erreichbar. Längst vorbei sind die Zeiten, in denen Segler*innen monatelang oder jahrelang nur per Brief oder Postkarte in Kontakt bleiben konnten. Mit vielen guten Wünschen im Gepäck und ganz viel Liebe im Herzen stachen wir in See.
The ocean is calling
Von Amsterdam bis Oostende
Die erste Etappe führt uns nach Enkhuizen und verläuft – abgesehen von einer gerissenen Hose und einem piependen Autopiloten – ruhig. Über Amsterdam geht es hinaus auf die Nordsee. Bei IJmuiden lassen wir die letzte Schleuse hinter uns, die das niederländische Binnenrevier von der Nordsee trennt. Ab jetzt: nur noch Salzwasser und offenes Meer!
Die Nordsee zeigt sich Anfang Mai noch rau. Mit kaltem Nordwind von achtern werden wir ordentlich durchgeschaukelt – schön ist anders. Nach etwa fünf Stunden erreichen wir Scheveningen, wo sich auch die Ansteuerung des Hafens noch einmal als kleine Herausforderung entpuppt.
In Scheveningen bleiben wir drei Tage. Die ungemütliche Fahrt dorthin und eine aus Lemmer mitgebrachte Erkältung haben uns erschöpft. Wir erinnern uns an den Rat eines lieben Stegnachbarn:
„Seefahrende mit Zeit haben immer gutes Wetter.“
Und Zeit empfinden wir wirklich als den größten Luxus einer Reise.
Von Scheveningen brechen wir früh morgens bei schönstem Sonnenschein auf. Unser Ziel: Belgien. Doch die Niederlande lassen uns noch nicht los. Der Wind schläft ein und wir machen einen Zwischenstopp am Schleusenanleger in Roompot, um dort zu übernachten, bevor es am nächsten Tag weiter nach Oostende geht.
Auch hier gönnen wir uns einen Hafentag – Wäsche waschen! Leider müssen wir auch spontan ein neues Control-Head für unseren Autopiloten kaufen. Der macht schon seit unserer Abfahrt aus Lemmer Probleme – und ohne Autopiloten wird es mühsam. Zwar haben wir noch unsere Windfahnensteuerung, aber die funktioniert bekanntlich nur bei ausreichend Wind. So ist das auf Langfahrt: Dinge gehen kaputt – hoffentlich nicht zu viele – aber wir lassen uns davon nicht entmutigen.
Wir sind in Frankreich!
Dunkirk und Boulogne-sur-Mer
Mit dem Stopp in Dunkirk sind wir in Frankreich angekommen. Die Etappe verläuft fantastisch. Es ist perfektes Segelwetter – nicht zuletzt dank unseres neuen Segels, für das wir in Scheveningen eine Einweisung bekommen haben.
Unsere Segel sind alt – richtig alt! Wir haben sie nach Kauf des Bootes zur Segelmacherin gebracht – sie meinte: „Für das Alter noch okay.“ Aber wir wollen 18 Monate unterwegs sein. Ein Teil davon auf der Passatroute. Also haben wir uns Anfang des Jahres – ganz kurz vor Abreise – doch noch für ein neues Segel entschieden: ein Leichtwindsegel. Der Parasailor ist ideal bei achterlichen Winden. Wir sind begeistert, wie gut Mana damit läuft, und freuen uns auf viele weitere Meilen mit dem Segel.
Von Dunkirk geht es früh weiter: Um 6 Uhr verlassen wir den Hafen. Das Besondere – oder auch Lästige – am Nordseesegeln sind die Gezeiten. Während beim Segeln allgemein der Wind alles bestimmt, kommt hier die Tide als zusätzliche Komponente ins Spiel. Wind und Strömung müssen zusammenpassen, sonst wird es ungemütlich.
Kim hat für uns ein gutes Zeitfenster berechnet, um nach Boulogne-sur-Mer zu kommen. Wir legen etwa zwei Stunden nach dem nächtlichen Hochwasser ab – die Strömung zieht uns Richtung Südwesten. In der Straße von Dover rauschen wir mit 9 Knoten an Calais vorbei – bei nur 9 Knoten Wind! Normalerweise segeln wir mit 5 bis 6 Knoten, heute schiebt uns der Strom mit rund 3 Knoten zusätzlich an.
Die Kreidefelsen und Cap Gris-Nez ziehen vorbei, der anhaltende Nordwind bringt eine unangenehme Dünung mit sich, die uns wieder kräftig durchschaukelt – Seekrankheit schleicht sich langsam an. Das frühe Aufstehen und der kalte Wind tragen auch nicht gerade zum Wohlbefinden bei.
In diesen Momenten fragt manchmal eine kleine Stimme im Hinterkopf: „Was machen wir hier eigentlich?“ – aber dann treffen wir in Boulogne-sur-Mer ein Paar, das mit dem Segelboot aus dem Süden kommt. Sie bestätigen uns: Die Atlantikwelle ist angenehmer – langgezogener, nicht so kurz und kabbelig. Wir sind gespannt.
Zunächst aber freuen wir uns auf die Küste des Ärmelkanals. Je weiter wir kommen, desto unbekannter werden für uns die Orte – und desto mehr fühlt es sich nach echter Reise an. Der Norden Frankreichs ist etwas eigen und rau, aber auch herzlich.
Normandie
Dieppe und Le Havre
Etwa elf Stunden sind wir von Boulogne-sur-Mer nach Dieppe gesegelt. Wieder haben wir unseren Parasailor gesetzt. Manches müssen wir noch lernen mit dem Segel, aber wir sind sehr zufrieden. Fast 60 Seemeilen sind wir ausschließlich mit diesem Leichtwindsegel gesegelt – das war schon ziemlich entspannt!
Und dann können wir den ersten Delfin unserer Reise beobachten, wie er immer wieder durch unsere Heckwelle surfte. So schön! Wir vermuten, dass es ein Schweinswal war. Vielleicht war er ja auch auf dem Weg in den Süden – so wie wir?!
Es wird etwas wärmer und die Normandie gefällt uns sehr schnell, sehr gut. Nicht ganz unbeteiligt daran ist das gute Essen: Wir plündern fast täglich die örtliche Boulangerie. Baguettes, Croissants und Tartes in allen Variationen sind einfach zu gut.
Der Tidenhub wird auch in den Häfen immer beachtlicher. In Dieppe „fahren“ wir aufzugartig täglich zweimal mit dem Boot vier bis sechs Meter hoch und wieder runter. Dank der Schwimmpontons bleibt man einfach fest am Steg – man muss nichts tun. Lediglich zum Hochwasser schaukelt es im Hafen ordentlich. So sehr, dass uns auch im Boot schon mal leicht blümerant wird. Und das ist nur der „kleine“ Tidenhub zur Nippzeit – während der Springtide beträgt der Höhenunterschied ganze neun Meter.
Die knapp 60 Seemeilen von Dieppe nach Le Havre müssen wir fast durchgehend motoren, da der Wind erst auf „von vorne“ dreht und dann völlig einschläft.
Wir bleiben zwei Tage in Le Havre: Wäsche waschen, Boot putzen, Supermarkteinkauf und Baumarkt. Auch das ist Bootsleben – kein Dauerurlaub, sondern Alltag auf dem Wasser. Schließlich nehmen wir aber doch noch die Klappräder und erkunden ein wenig die Stadt.
Das Zentrum von Le Havre wurde 1944 von den Alliierten nahezu vollständig zerstört. In den Jahren danach wurde es – nicht wie oft üblich nach altem Vorbild – komplett modern und funktional wiederaufgebaut. 2005 erhielt das Zentrum den Status eines Weltkulturerbes, da die UNESCO in Le Havre kein Mahnmal der Zerstörung, sondern ein Denkmal des modernen Wiederaufbaus sieht.
Impressionismus und Postkartenidylle
Honfleur
Mit einem wirklich schlechten Ablegemanöver – ja, das passiert halt mal – verlassen wir am Sonntag früh gegen 7 Uhr den Hafen, um nach Honfleur zu fahren.
Wir wussten, dass der Anfang beschwerlich wird, aber mit dem, was kam, hatten wir nicht gerechnet. Die ersten Meilen gegen Wind und Strom lassen Mana immer wieder tief eintauchen. Zwischendurch stampfen wir mit nur knapp 2 Knoten durch die Wellen und fürchten, die Öffnungszeit der Schleuse zu verpassen, denn Honfleur ist nur bei Hochwasser erreichbar. Nach zwei elendig langen Stunden, in denen wir mehrmals befürchten, dass wir den ganzen Weg zurückmüssen, zieht uns der Strom glücklicherweise mit 7 bis 9 Knoten Fahrt in die Seine-Mündung hinein. Kurze, heftige Regenschauer mit starken Windböen schütteln uns noch mal ordentlich durch – spülen uns aber auch vom Salzwasser frei.
Um kurz nach 10 Uhr fahren wir mit dem Hochwasser durch die offene Schleuse nach Honfleur, die kurz danach schließt. Kaum im ruhigen Hafenbecken, lässt der Wind nach, die Sonne kommt raus – als wäre nichts gewesen. Freud und Leid liegen beim Segeln oft nah beieinander.
Im Nachhinein erfahren wir, dass die Schleuse in Honfleur 24 Stunden am Tag in Betrieb ist. Nur zwei Stunden um die Hochwasserzeit steht sie offen – free flow – danach gelten stündliche Schleusungszeiten. Das verbuchen wir unter „lost in translation“. Die meisten Hafeninfos hier sind natürlich auf Französisch oder auf Englisch – da gibt’s schon mal Missverständnisse.
Honfleur liegt an der Seine-Mündung und zählt zu den ältesten Hafenstädten Frankreichs. Die Brücke „Pont de Normandie“ verbindet Honfleur mit Le Havre – mit dem Auto braucht man dafür 30 Minuten. Wir brauchten drei Stunden.
Das Städtchen erinnert an einen Spaziergang durch ein Bilderbuch. Manche Reiseführer nennen es den „pittoreskesten Ort der Normandie“ – gut möglich! Allerdings ist der Ort auch sehr touristisch und hat teilweise etwas von einem Kirmesrummel.
Wir schlendern ein paar Stunden durch die Stadt und stellen fest, wie grün es hier ist. Schöne Parkanlagen, dichte Wälder im Umland – und früher reichte das Wasser bei Flut noch näher an die Stadt heran. Heute schützt ein Wall vor den Gezeiten.
Honfleur gilt als eine der Wiegen des Impressionismus. Der hier geborene Maler Eugène Boudin war einer der ersten, der das Licht und die Atmosphäre der Normandie unter freiem Himmel („en plein air“) malte. Er war ein Mentor von Claude Monet und überzeugte ihn ebenfalls, draußen zu malen. Ab den 1850er-Jahren trafen sich hier regelmäßig Künstler wie Monet, Courbet, Jongkind, Bazille und Sisley – sie erkundeten gemeinsam neue Wege in der Malerei.
Im "Vieux Bassin", dem alten Hafen, haben wir mit Mana einen schönen Liegeplatz gefunden – mitten im Trubel und vor echter Postkartenkulisse.
Von Honfleur nach Cherbourg
Nach einigen Tagen des Wartens öffnet sich endlich ein Wetterfenster, um den 80-Seemeilen-Sprung nach Cherbourg zu schaffen. Gemeinsam mit unseren Stegnachbarn, die in dieselbe Richtung wollen, haben wir lange hin und her überlegt, ob ein Zwischenstopp sinnvoll wäre. Doch das Risiko war uns zu groß: Wir könnten in einem Hafen festsitzen, den man tatsächlich nur zweimal täglich – bei Hochwasser – erreichen oder verlassen kann. Dieses enge Zeitfenster muss dann auch noch mit dem Wind zusammenpassen. Und schöner wird es auch nicht, wenn das Ganze mitten in der Nacht stattfindet. So schön es hier auch ist – wir sind froh, wenn wir aus dem Gezeitenrevier raus sind. Aber das wird noch eine ganze Weile dauern.
So klingelt der Wecker mal wieder früh um 4:20 Uhr, eine Stunde später legen wir in Honfleur ab. Die Schleuse steht schon offen, wir können direkt einfahren. Die Schleusung verläuft entspannt, auch wenn wir kurz überlegen, ob auf der anderen Seite überhaupt noch genug Wasser ist – denn wir „fahren“ ein paar Meter nach unten.
Die ersten Stunden sind trüb und kalt, aber immerhin düsen wir zu Beginn dank der Strömung in der Seine-Mündung mit 10 Knoten Fahrt durchs Wasser. Dieses Vergnügen währt zwar nicht lange, und im Laufe der Etappe kippt die Strömung wieder gegen uns und bremst uns aus. Doch gleich zu Beginn ein paar Pluspunkte auf dem Zeitkonto zu sammeln, fühlt sich gut an. Der morgendliche Dunst verzieht sich nur langsam, doch später wird es richtig schön: Sonne, Wärme und ein Meer, das in Grün- und Blautönen leuchtet.
Leider spielt der Wind nicht mit – bis auf ein paar Meilen müssen wir die gesamte Strecke unter Motor zurücklegen. Wenigstens bleibt genug Zeit zum Lesen. „Seefahrt mit Huhn“ - die Geschichte eines Franzosen und seines Huhns Monique, die um die Welt segelten - liest sich leicht und lädt dennoch immer wieder zum Staunen ein. Wozu Hühner so alles in der Lage sind!
Nach 15 Stunden und 80 Seemeilen machen wir in Cherbourg fest. Hier anzukommen, fühlt sich irgendwie an wie ein erster kleiner Meilenstein unserer Reise:
Wir nähern uns dem Atlantik!
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